Das Kaffeehaus befindet sich im Herzen der Stadt, gegenüber der Kirche Santa Maria della Consolazione, wo auch die königliche Familie zur Messe ging.
Jetzt ist es Vormittag, Frühstückszeit. Beim betreten des historischen Lokales merke ich gleich die stehengebliebene Zeit, die acht kleine Marmortische und das Parkett, wie die Theke oder die große Spiegel sollten unter Denkmalschutz gestellt werden.
Ich sehe, dass auf allen der sieben besetzten Tischen steht der Bicerin, das kleine Glas in einem Metallbehälter, mit einem kleinen Metallgriff. Ich setze mich an den einzigen, freien Tisch unter der hölzernen Uhr. Ich bin überrascht, dass dieser Tisch überhaupt frei war, denn dieser war der Stammtisch von dem Grafen Cavour, ein der vielen, sich großen Ruf erworbenen Gästen des Cafés (darunter Puccini, Dumas, Nietzsche). Die Torineser denken gerne, dass der Staatsmann die Idee von dem vereinten Italiens hier ausgedacht hatte. Ich hoffe, dass ich an seinem Platz sitzend und sein Frühstück bestellend keine Lust auf Politik bekomme...
Ich bestelle meinen Bicerin (bicchierino – Gläschen) und ein Croissant. Der ist sehr heiß, ich weiß, dass es sich so gehört, aber ich muss ein bisschen warten. Es besteht aus Kaffee, heiße Schokolade und Milchschaum. Ich tue ein wenig Rohrzucker dazu und... köstlich. Beim schlürfen stelle ich mir vor, wie Männer und Frauen, adelige und einfache Leute Sonntags von der Messe kamen und vollkommen verhungert, denn bis zu der Kommunion sie nichts essen durften. Sie strömten hier herein und bestellten einen Bicerin, auch in der Fastenzeit, denn die heiße Schokolade ein Getränk war.
Und zwar für alle! Dieses hier war vielleicht das erste demokratische Lokal in Italien, was von Frauen geführt war (ist) und wo Damen und Mägde mit Herren und Burschen in dem selben Raum den selben bicerin getrunken haben, was für alle bezahlbar war und gleich geschmeckt hat: „Glühend, aber köstlich!“, mit den Worten von Nietzsche.